In Nepal besteht jetzt die Gefahr, dass gutgläubige Freiwillige und Spender ungewollt Kinderhändlern in die Hände spielen. Waisenhaus-Tourismus war bereits vor dem Erdbeben im April 2015 ein Problem in diesem Land und viele obdachlose Familien drohen jetzt eine leichte Beute der Anwerber von Pseudo-Waisenhäusern zu werden. Personen, die in ein paar Wochen oder Monaten Freiwilligenarbeit in Nepal planen, müssen jetzt aufpassen, sich nicht bei Projekten anzumelden, die mehr schaden als nützen.
Freiwilligenarbeit ja – aber…
In unserem Blogbeitrag Nepal: Jetzt spenden, später helfen … aber richtig! haben wir erläutert, warum Voluntouristen ohne Fachwissen in der akuten Nothilfe eher hinderlich sind. Im Wiederaufbau und in nachhaltigen Entwicklungsprojekten können Freiwillige aber sinnvolle Arbeit leisten.
Sie unterstützen die einheimische Bevölkerung nicht nur durch ihren ehrenamtlichen Einsatz sondern kurbeln in Pionier-Manier auch wieder den Tourismus an. 10% des nepalesischen BIPs hängen vom Tourismus ab, der in seiner klassischen Form jetzt einzubrechen droht. Voluntouristen könnten in die Bresche springen: eine unserer Partner-Organisationen schätzt z. B., dass etwa 300 Nepalesen ihr Einkommen direkt oder indirekt aus ihren Freiwilligen-Programmen beziehen.
Aus gutem Grund nehmen wir auf wegweiser-freiwilligenarbeit.com jedoch keine Waisenhaus-Projekte auf, und wir raten allen potenziellen Volunteers gerade jetzt davon ab, in nepalesischen Waisenhäusern Freiwilligenarbeit zu machen oder an Organisationen zu spenden, die den Aufbau oder Unterhalt von Heimen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.
Pseudo-Waisenhäuser in Nepal
Eine Studie der NGO Next Generation Nepal belegt, dass die Zahl von Waisenhäusern, teilweise auch Children Homes genannt, seit 2010 im Himalaja stark zugenommen hat. Gleichzeitig waren mind. zwei Drittel der Kinder, die in diesen Institutionen lebten, keine Waisen, sondern hatten noch zumindest einen lebenden Elternteil.
NGOs in Nepal sehen bereits erste Anzeichen, dass die skrupellosen Betreiber dieser Heime versuchen, die Not durch das Erdbeben obdachlos gewordener Familien auszunutzen, und weitere Heime mit neuen Kindern zu bevölkern.
Die wichtige Rolle, die der Tourismus bei dieser Entwicklung spielt, wird durch die Tatsache belegt, dass 90% der erfassten Kinderheime in den 5 der insgesamt 75 Distrikte Nepals liegen, in denen sich der Großteil des Tourismus in Nepal abspielt.
Die Betreiber der Heime rekrutieren die Kinder in den Heimen hauptsächlich in ländlichen Regionen, in dem sie die Eltern mit Versprechungen für eine bessere Versorgung und Ausbildung gefügig machen. Tatsächlich dienen die Jungen und Mädchen allerdings als Köder, um durchreisenden Touristen Spenden zu entlocken oder auch ahnungslose Freiwillige zur Zahlung von Teilnahme-Beiträgen und nach der Heimkehr weiteren Spenden zu motivieren. Volunteers sind also nicht die einzige, wohl aber eine wichtige Einnahme-Quelle dieser Geschäftemacher.
Erdbeben droht mehr Familien gefügig zu machen
UNICEF Nepal und andere Experten fürchten, dass die Anwerber der Pseudo-Waisenhäuser jetzt noch leichteres Spiel haben werden, weil viele Familien kein Dach mehr über dem Kopf haben. Next Generation Nepal, die auch mit seriösen Freiwilligen-Organisationen zusammenarbeitet, warnt: „Wir befürchten sehr stark, dass das Anwerben nun unsere schlimmsten Albträume übersteigen wird. Das Land wird von Hilfs-Geldern überschwemmt, Kinder-Heime bieten hunderte zusätzlicher Plätze an und die Hilfsmaßnahmen werden die Dörfer evtl. nicht rechtzeitig erreichen, um den abzusehenden Strom von Kindern weg von den Familien in die profitorientierten „Waisenhäuser“ zu verhindern.“
Freiwillige, aber auch Spender, sollten jetzt Organisationen unterstützen, die sich dafür einsetzen, dass Kinder in ihren Familien oder, im Falle von tatsächlichen Waisen, in der Dorfgemeinschaft bleiben können.
Sinnvolle Freiwilligen-Projekte
Für angehende Volunteers gibt es zum Glück zahlreiche Alternativen für Freiwilligenarbeit in Nepal, die wir in diesem Blog-Beitrag nennen.
In Bezug auf Projekte mit Kindern gilt: Helfer sollten um Waisenhäuser oder Heime, in denen isolierte Kinder dauerhaft wohnen, einen Bogen machen. Für den Laien ist es so gut wie unmöglich auf die Distanz die Spreu vom Weizen zu trennen.
In Projekten, in denen die Kinder feste Bezugspersonen haben (Eltern oder andere Familien-Mitglieder), können Freiwillige dagegen wertvolle Hilfe leisten, während die einheimischen Erwachsenen mit dem Wiederaufbau beschäftigt sind. Dazu gehören
- Kindergärten und –Horte
- Projekte, in denen die Kinder durch Spiel und Sport von der Krisen-Situation abgelenkt werden.
- Schul- und Unterrichts-Projekte
Übrigens: wenn die Freiwilligen-Organisation vor der Anmelde-Bestätigung ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt, ist das ein wichtiges Qualitäts-Merkmal. Denn auch nach dem Erdbeben bleibt es wichtig, alle Kinder – Waisen oder nicht – vor Pädophilen zu schützen. Unser Ratgeber „So wählen Sie die richtige Freiwilligen-Organisation aus“ nennt noch viele weitere Qualitäts-Merkmale.
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