Wer Freiwilligenarbeit mit Waisen macht, riskiert den betreuten Kindern eher zu schaden als zu nutzen. Deswegen haben wir uns entschlossen, keine Waisenhaus-Projekte auf wegweiser-freiwilligenarbeit.com aufzunehmen. Stattdessen machen wir andere Formen des Volunteering mit Kindern bekannt und klären über die Schwierigkeiten auf. Denn in einigen Ländern besteht sogar die Gefahr, indirekt den Kinder-Handel zu fördern.
Waisen häufig Brennpunkt von Volunteer-Wünschen
Wie keine andere Bevölkerungs-Gruppe kristallisieren Waisen in Afrika, Asien und Lateinamerika den Wunsch, bedürftigen Personen zu helfen. Da sie nicht nur in Entwicklungsländern leben und als Kinder besonders schutzbedürftig sind, sondern zudem auch der Liebe ihrer leiblichen Eltern beraubt sind, scheinen sie vielen Personen das ideale Ziel ihres Engagements. „Ich möchte irgendwo mit Waisen arbeiten. Denn die haben es besonders nötig.“ hören alle Freiwilligen-Organisationen regelmäßig. Meist ist es jedoch sinnvoller, andere Freiwilligen-Projekte mit Kindern im Ausland zu wählen und die Betreuung von Waisen qualifizierten, festen Mitarbeitern in geeigneten Einrichtungen zu überlassen.
Gefahr von Verhaltens-Störungen durch Kurzzeit-Beziehungen
Ein grundlegendes Problem beim Umgang mit Waisen ist, dass diese Kinder häufig keine festen Bezugspersonen in ihrem Leben haben und es ihnen an Zuneigung fehlt. In dieser Situation ist für sie die Versuchung groß, ihr Bedürfnis nach Liebe auf Ersatz-Personen zu übertragen, selbst wenn diese nur für kurze Zeit in ihrem Umfeld auftauchen: Freiwillige z. B., die für ein paar Wochen oder Monate in ihrem Heim ehrenamtlich helfen.
Wenn die Volunteers von ihrer Entsende-Organisation und dem aufnehmenden Projekt nicht ausreichend über die Zusammenhänge aufgeklärt werden und deshalb vielleicht sogar aktiv die Bindung verstärken, ist das Risiko besonders groß, dass der unweigerliche Abschied der Freiwilligen zu einem traumatischen Erlebnis wird. Verhaltensstörungen im Beziehungs-Aufbau mit anderen Menschen können die Folge sein, die das betroffene Kind sein Leben lang belasten. Nur die wenigsten Volunteers haben die notwendige Ausbildung, um diese Gefahr zu minimieren.
Die Problematik des wiederholten Lösens von aufgebauten Beziehungen besteht auch mit Freiwilligen, die 12 Monate während eines Freiwilligendienstes wie weltwärts oder IJFD mit Waisen arbeiten, und sogar mit festangestellten Mitarbeitern, die ebenfalls wechseln können. Deswegen wird es ohnehin immer mehr zum allgemeinen Konsens, dass Waisen nur als letzte Alternative in Heimen untergebracht werden sollen. Nach weit verbreiteter Meinung ist ein Aufwachsen z. B. im erweiterten Familienverband oder in Pflegefamilien erheblich sinnvoller. Einige Länder, wie z. B. Ruanda, sind bereits dabei ihr Wohlfahrts-System dementsprechend umzustellen.
Waisenhäuser mancherorts Teil des Problems, nicht der Lösung
Trotzdem gibt es noch personell unterbesetzte Waisenhäuser mit engagierten Mitarbeitern, denen die Nachteile ihrer Institution bewusst sind, die die Kinder aber trotzdem nicht auf die Straße setzen können, da es an Alternativen in ausreichender Zahl mangelt. Warum also nicht diese Strukturen als verantwortungsbewusste Partner behandeln und ihnen die Abwägung der Vor- und Nachteile der Arbeit mit mitteleuropäischen Freiwilligen überlassen?
Leider ist die Grundannahme, dass die Betreiber von Waisenhäusern vor allem die Interessen der Kinder im Sinn haben, in einer wachsenden Zahl von Regionen nicht mehr gerechtfertigt. Beispiel Kambodscha in Südost-Asien: Laut einer von UNICEF mitverantworteten Untersuchung haben 3 von 4 Kindern in als Waisenhäuser bezeichneten Einrichtungen des Landes zumindest einen lebenden Elternteil, die Zahl der Waisenhäuser hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Ähnliche Berichte gibt es z. B. auch aus Nepal und Uganda (Ost-Afrika).
Dafür verantwortlich sind häufig Geschäftemacher, die aus Gewinnstreben Pflege-Institutionen eröffnen und mit den Kindern mittelloser Familien aus meist ländlichen Regionen bevölkern. Die leiblichen Eltern werden mit Versprechungen über bessere Ausbildung und Versorgung gefügig gemacht. Die Betreiber sind aber vor allem an ihrem eigenen Geldbeutel interessiert, den sie entweder mit direkten Spenden füllen oder mit den Zuschüssen, die Entsende-Organisationen für die Anwesenheit westlicher Freiwilliger zahlen. Manchmal sind auch religiöse Extremisten am Werk. Selbst verantwortungsbewussten Organisationen gelingt es nicht immer, bei ihren lokalen Projekt-Partnern die Spreu vom Weizen zu trennen, da auch eine offizielle Registrierung wegen Korruption und unzureichenden Kontrollen häufig keine Garantie darstellt.
Das gilt übrigens auch für die anderen Einnahme-Quellen der Waisenhäuser und Kinderheime:
- direkte Spenden, auch von gut meinenden, karitativen Organisationen oder Kirchengemeinden, die ähnlich wie Freiwilligen-Organisationen von den Betreibern hinters Licht geführt werden
- der Besuch von Aufführungen im Waisenhaus
- der Kauf von Handwerks-Kunst und anderen Gegenständen, die von den Kindern hergestellt wurden
Wir raten generell, nicht den Mythos „Waisenhaus“ , sondern die Initiativen zu unterstützen, die sich für den Verbleib der Kinder im erweiterten Familienverband oder in Pflege-Familien einsetzen.
Eine Studie des Amtes für öffentliche Wohlfahrt in Ghana aus dem Jahr 2009 geht sogar davon aus, dass 90% der Kinder in den „Waisenhäusern“ dieses Landes in West-Afrika technisch keine Waisen sind. In Ghana kommt noch ein anderes Phänomen hinzu, das der Autor David Rössler in einem Buch beschreibt: Teilzeit-Waisenhäuser in armen, ländlichen Gemeinden werden nur dann mit Kindern besetzt, wenn es westliche Freiwillige gibt, die der Dorfgemeinschaft Einnahmen bescheren. Nach deren Abreise kehren die Pseudo-Waisen wieder in ihre Familien zurück, die im selben Ort leben. Zwar gibt es in solchen Fällen nicht dieselben zuvor beschriebenen Bindungs-Probleme und die Teilnahmebeiträge wandern nicht in die Taschen von Kinderhändlern, aber trotzdem wird das Vorhaben der Volunteers zu Helfen hier pervertiert und ausgenützt.
So trägt der Wunsch besonders bedürftigen Kindern zu helfen perverserweise sogar dazu bei, die Not zu steigern, da sich Pseudo-Waisenhäuser den Freiwilligen-Organisationen als Projekt-Partner für eine steigende Zahl von Freiwilligen anbieten. Glücklicherweise gibt es Alternativen für alle, die sinnvolle Freiwilligenarbeit mit Kindern machen wollen.
Keine Waisenhaus-Projekte, aber viele andere Formen des Engagements im Ausland mit Kindern
Es gibt Freiwilligen-Projekte mit Waisen, die mit dem gebotenen Sinn für Verantwortung vorgehen und in denen freiwillige Helfer sinnvolle Arbeit leisten können. Für wegweiser-freiwilligenarbeit.com als unabhängiges Portal ist es jedoch derzeit nicht möglich, die Projekte unserer Partner-Organisationen zu kontrollieren.
Um die Nachfrage nicht weiter anzuheizen, haben wir uns deshalb entschlossen, bis auf weiteres keine Beschreibungen von Freiwilligen-Einsätzen aufzunehmen, die in Waisenhäusern stattfinden. Darüber hinaus ist unser Gründer Frank Seidel aktives Mitglied des Better Volunteering Better Care-Netzwerkes.
Wenn es trotzdem dein Wunsch ist, während deines Auslands-Aufenthaltes oder deines Freiwilligendienstes mit Kindern zu arbeiten, gibt es eine Fülle anderer Möglichkeiten.
Auch Kinder mit Eltern oder anderen festen Bezugspersonen brauchen Unterstützung:
- Soziale Freiwilligenprojekte in der Kinder- und Jugendbetreuung, z. B. in Kindertagesstätten, Jugendzentren etc.
- Projekte in Unterricht & Bildung
- Sport-Projekte
- Projekte mit Behinderten
- Projekte mit Frauen und Mädchen
Wir sind davon überzeugt, dass gut organisierte Freiwilligenarbeit allen Beteiligten Vorteile bietet: den lokalen Projekt-Partnern und den betreuten Kindern, den Freiwilligen selbst und auch der Gesellschaft allgemein, da flexible Freiwilligenarbeit einen wichtigen Beitrag zur entwicklungspolitischen Bildung darstellt. Also nur zu, mach flexible Freiwilligenarbeit!
Foto mit freundlicher Genehmigung von Africa & Asia Venture.
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