94.2% der Non-Profit-Organisationen meinen, dass es sich lohnt, westliche Freiwillige aufzunehmen
In der Diskussion um den Sinn oder Unsinn flexibler Freiwilligenarbeit im Ausland kommt eine Frage meist zu kurz: Wollen die NGOs in Afrika, Asien oder Lateinamerika eigentlich die westlichen Freiwilligen? „Absolutely!“ versichert Dr. Erin L. Barnhart, amerikanische Autorin der Studie „Ehrenamtliches Engagement weltweit: Die Motivationen von und die empfundenen Vorteile für Organisationen bezüglich der Aufnahme internationaler Freiwilliger“*. Ihre Arbeit bringt ans Tageslicht, was in der Diskussion in den letzten Jahren meist abwesend war: Die Meinung der Non-Profit-Organisationen, die direkt oder über Entsendeorganisationen (wie es auch auf unserem Portal der Fall ist) Freiwillige aufnehmen.
Wir sprachen mit Dr. Barnhart über die Ergebnisse ihrer Studie, die selbst für sie überraschend ausfielen.
*Originaltitel: Engaging in Global Service: Organizational Motivations for and Perceived Benefits of Hosting International Volunteers
Warum eine Studie über die Motivation der NGOs mit westlichen Freiwilligen zu arbeiten?
Ich war schon lange an internationalen Beziehungen und Freiwilligenarbeit interessiert, und habe mitverfolgt, wie nach und nach immer mehr Menschen ihren Status als Weltbürger nutzten, um mit anderen Gemeinschaften in Kontakt zu treten und etwas Gutes zu tun.
Als ich mich über den damaligen Stand der Forschung zum Thema Freiwilligenarbeit im Ausland informierte, fand ich viele Studien über den Einfluss von Volunteering auf die Freiwilligen selbst und über die Auswirkungen von Freiwilligen-Arbeit auf die lokalen Gemeinschaften, wenn auch letzteres in geringerem Maße. Aber keine der Studien hinterfragte die Motive der Organisationen, die Freiwillige aufnehmen. Da wurde ich wirklich neugierig.
Wie lautete die grundlegende Fragestellung Ihrer Arbeit?
Die Ausgangsfrage für meine Studie war:
- Warum sollte eine Non-Profit-Organisation, die vermutlich bereits sehr beschäftigt und außerdem beschränkt in ihren Ressourcen ist, Interesse an der Zusammenarbeit mit westlichen Freiwilligen haben?
Dann kamen weitere grundlegende Fragen hinzu, unter anderem
- Welchen Nutzen erhoffen sie sich davon?
- Welchen Schwierigkeiten müssen sie sich dabei stellen?
- Wie rekrutieren sie die Freiwilligen?
- Welche Infrastruktur haben sie für die Aufnahme der Freiwilligen?
Und letztlich die entscheidende Frage:
- Denken sie, dass es sich lohnt? Überwiegen die Vorteile ihrer Meinung nach?
Entsprachen die Ergebnisse Ihren Erwartungen?
Ich muss Ihnen sagen, dass ich wirklich gemischte Ergebnisse erwartete. Ich arbeitete damals für idealist.org (Anm. d. Red.: eine internationale Website, die Vereine mit ehrenamtlichen Helfern verbindet), wodurch ich beruflich viel Kontakt mit Non-Profit-Organisationen hatte. Deshalb wusste ich bereits, dass die Aufnahme von Freiwilligen oft große Vorteile für diese Organisationen mit sich bringt, aber eben auch große Herausforderungen. Ich befragte insgesamt 248 Non-Profit-Organisationen, die über idealist.org nach internationalen Freiwilligen suchten. Die meisten rekrutierten diese Helfer direkt, aber 33 bekamen ihre Mitstreiter auf Zeit über internationale Entsendeorganisationen. Ich war wirklich überrascht über das überwältigende Ergebnis:
94.2% der befragten Non-Profit-Organisationen meinten, dass es sich lohnt, Freiwillige aufzunehmen (trotz der Angabe von Schwierigkeiten und Herausforderungen).
Auf die Frage „Was motiviert kleine Non-profit-organisationen dazu, internationale Freiwillige aufzunehmen?“ kamen einige Antworten, die ich erwartet hatte, aber auch einige sehr überraschende. Die drei meistgenannten waren
94.2% der Non-Profit-Organisationen meinen, dass es sich lohnt, westliche Freiwillige aufzunehmen
- Die Freiwilligen bringen neue Fähigkeiten, Sprachkenntnisse und Perspektiven mit (die Meinung eines Außenstehenden, der einen anderen Hintergrund mitbringt).
- Die Aufnahme von internationalen Freiwilligen bietet eine Möglichkeit des interkulturellen Austauschs – sowohl für die Freiwilligen und als auch für die Gemeinschaft.
- Die Freiwilligen sind zusätzliche Arbeitskräfte.
Die Möglichkeit des interkulturellen Austauschs kam bei der Frage „Welchen Nutzen haben die Organisationen davon?“ sogar auf Platz 1.
Für die lokalen NGOs ist offenbar sehr wichtig, dass sie durch die Zusammenarbeit mit Freiwilligen Verbindungen knüpfen können, die über die Anwesenheit der Freiwilligen hinausgehen – dass die Freiwilligen in Verbindung bleiben, auch wenn sie heim kommen, dass sie Geschichten erzählen, und womöglich sogar Spenden sammeln und Aufmerksamkeit für die Organisation schaffen, bei der sie geholfen haben.
Dieser kulturelle Austausch, den Sie eben erwähnten, wurde in letzter Zeit oft kritisiert. Den Freiwilligen wird oft vorgeworfen, dass ihre westlichen Ansichten nicht nützlich wären und nicht gebraucht würden – es werden ihnen häufig kolonialistische Einstellungen vorgeworfen. Wie nehmen Sie das wahr?
Ich kann diese Kritik verstehen, und es gab sicher auch Zeiten, in denen ich meine Zweifel an der Effektivität von Freiwilligenarbeit hatte. Was für mich den Unterschied gemacht hat, ist Folgendes: die Organisationen, die Freiwillige aufnehmen, haben selbst entschieden, weshalb sie sie dort haben wollen.
Eines sollte klar sein: Wenn jemand ohne besondere Qualifikationen in ein Projekt kommt mit der Einstellung „ich habe, was ihr braucht“ oder „weil ich westlich bin und einen Kurs über Entwicklungspolitik belegt habe, weiß ich, was zu tun ist“, dann hat diese Person dort nichts verloren. Tatsächlich ist eine der größten Herausforderungen für die Organisationen, dass Freiwillige oft mit unrealistischen Erwartungen dessen, was sie erreichen können, eintreffen.
Solange eine Organisation allerdings selbst beschlossen hat, dass das, was sie wollen und brauchen, eine größere kulturelle Vielfalt ist, dann sind auch internationale Freiwillige ohne Vorkenntnisse sehr wertvoll.
Nun ist es ja aber so, dass selbst der kulturelle Austausch an sich oft schon hinterfragt und kritisiert wird, nach dem Motto „Warum glaubst du, dass deine Anwesenheit in einem Entwicklungsland für den kulturellen Austausch wertvoll ist?“ Wie sehen Sie das?
Ich denke, dass es zwei Situationen gibt, in denen dieser Austausch für die Organisation wertvoll ist. Nämlich dann, wenn die Organisation und die Gemeinschaft genau das will und sucht; oder wenn er als positiver Nebeneffekt kommt. Wenn der Freiwillige also zu dem primären Ziel des Projekts etwas beitragen kann, und außerdem noch der interkulturelle Austausch stattfindet.
Zudem denke ich persönlich, dass die entwicklungspolitische Bildung, die Freiwillige durch Volunteering erfahren, eines der wichtigsten Aspekte von Freiwilligenarbeit ist. Denn diese Horizonterweiterung trägt maßgeblich dazu bei, dass die Menschen aufgeschlossener und toleranter werden, und dass sich deren Einstellung weg von nationalem und hin zu globalem Denken verändert.
Über Dr. Erin L. Barnhart
Dr. Erin L. Barnhart promovierte im Jahre 2012 mit der oben genannten Doktorarbeit zum Doktor in Urban Studies an der amerikanischen Portland State University. Ihre beruflichen Erfahrungen mit dem Thema umfassen z. B. Positionen als Direktorin für Volunteerism Initiatives beim Online-Portal idealist.org sowie als Geschäftsführerin des Interessenverbandes für internationale Freiwilligenarbeit Building Bridges Coalition. Neben Lehraufträgen an der University of Oregon aus und seit 2012 auch an der Concordia University Portland, leitet sie derzeit das Absolventen-Programm von IPSL, das Auslandsstudien mit ehrenamtlichem Engagement verbindet, und berät Unternehmen und NGOs über ihre Agentur Effective Altruism. Außerdem engagiert sie sich in den Vorständen mehrerer Verbände zur Förderung von Freiwilligenarbeit und ehrenamtlichem Engagement.
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Rainbow Garden Village und Africa & Asia Venture.