Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Originaltextes „Why voluntourism might even just do some good“. Er wurde am 23.02.14 als Reaktion auf den Blogbeitrag „The Problem with Little White Girls (and Boys): Why I Stopped Being a Voluntourist“ von Pippa Biddle und als Teil der Diskussion über Sinn oder Unsinn von Freiwilligenarbeit im Ausland veröffentlicht. Pippa hatte über ihre eigenen Erfahrungen als Freiwillige berichtet und kam zu dem Schluss, dass es sinnlos oder gar schädlich ist, wenn „weiße Mädchen“ Freiwilligenarbeit machen.
Bei wegweiser-freiwilligenarbeit.com sind wir davon überzeugt, dass Freiwilligenarbeit einen wichtigen Beitrag zur entwicklungspolitischen Bildung darstellt – auch und gerade wenn sie von jungen Menschen verrichtet wird. Obwohl wir dem Begriff Voluntourismus skeptisch gegenüber stehen, da er im deutschen Sprachraum häufig bewusst in negativer Berichterstattung verwendet wird, haben wir ihn hier aus dem Originaltext übernommen.
Warum Voluntourismus doch etwas Gutes bewirken könnte
Als Pippa Biddle Ende Februar über „das Problem mit kleinen weißen Mädchen“ schrieb, nährte sie einen Trend der Selbstzerfleischung in der Entwicklungsarbeit. Ich habe gerade mal „why voluntourism is good“ gegoogelt und die ersten drei Suchergebnisse waren:
- „Beware the voluntourists intent on doing good“
- „Is voluntourism doing any good? No!“
- „Does ‚voluntourism‘ do more harm than good?“
Pippa schreibt über ihre eigenen Erfahrungen als Voluntouristin, unter anderem über die wundervolle Geschichte dieser Tansanier, die die ganze Nacht durcharbeiten, um die von den weißen amerikanischen Mädchen zuvor schlecht errichtete Mauer noch einmal neu zu bauen. Das alles nur, damit die Mädchen nicht erfahren, wie schlecht sie gearbeitet hatten.
„Es wäre kosten-effektiver, besser für die lokale Wirtschaft und effizienter für das Waisenhaus gewesen, wenn man unser Geld dazu verwendet hätte Einheimische anzustellen, um die Bauarbeiten zu machen. Aber da waren wir und versuchten gerade Wände ohne eine Wasserwaage hochzuziehen.“
Aber da möchte ich mal einwerfen: wenn Pippa nie nach Tansania gegangen wäre, dann wäre auch ihr Geld nie dort gelandet. Wir wissen das. Trotz des schwindelerregenden Ausmaßes globaler Ungleichheit wird die große Mehrheit der wohltätigen Spenden von Privatpersonen aus reichen Ländern auch in reichen Ländern verwendet, nicht etwa in den armen. In Großbritannien gehen nur 10% nach Übersee. (Anm. von wegweiser-freiwilligenarbeit.com: Wir konnten trotz Recherche beim Deutschen Spendenrat, der schweizer Stiftung Zewo und dem Fundraising Verband Austria keine vergleichbaren Zahlen für Deutschland, Österreich oder die Schweiz finden. Was wir herausgefunden haben ist, dass 7,6% der Österreicher für die Katastrophenhilfe im Ausland spenden, 7,4% für den Kampf gegen den Hunger in der Welt und 2,3% für Flüchtlinge im Ausland (Quelle Public Opinion).)
Und das aus guten Gründen. Warum spenden wir? Unsere Spendenbereitschaft wird von Empathie, also Einfühlungsvermögen angetrieben. Aber wir können keine Empathie für 6 Milliarden Menschen gleichzeitig entwickeln. Es gibt einfach zu viel Leid, als dass man sich um alles kümmern könnte. „Wir befänden uns in einem ständigen emotionalen Aufruhr.“ Aus diesem Grund benutzen wir Filter, wobei ganz besonders die Vertrautheit mit der Person entscheidend ist, genauso wie Ähnlichkeiten und Identifikations-Potenzial.
Aus diesem Grund benutzt Nicholas Kristof (Anm. d. Red.: Pulitzer-Preis-Gewinner und Kolumnist für die New York Times) sogenannte „Brückenfiguren„:
„Das Problem, dem ich mich stellen muss – meine Herausforderung als Autor – wenn ich die Leser dazu bringen möchte, an einem Thema wie dem östlichen Kongo Anteil zu nehmen, ist offen gesagt, dass schrecklich viele Leser umblättern, wenn sie sehen, dass ich über Zentralafrika schreibe. Es ist sehr schwierig, Leute dazu zu bringen, an einer weit entfernten Krise wie dieser Anteil zu nehmen.
Eine Möglichkeit, die Leute dazu zu bewegen, wenigstens ein paar Abschnitte zu lesen, ist es, einen ausländischen Protagonisten als Brückenfigur zu verwenden, einen Amerikaner, mit dem sich die Leser identifizieren können. Wenn ich auf diese Weise die Menschen dazu bringen kann, sich um andere Länder zu kümmern, über sie zu lesen, und sich idealerweise ein wenig mehr zu engagieren, dann bekenne ich mich schuldig.“
Oder denken Sie an die Geschichte des Solomon Northup in 12 Years a Slave. Ich schäme mich schon fast es zuzugeben, aber es ist offensichtlich, dass die Geschichte deshalb so entsetzlich ist, weil es ein Mann aus der Mittelklasse New Yorks ist – jemand Vertrautes, mit dem wir uns identifizieren können.
Für einige Zeit in einem Entwicklungsland zu leben oder das Land auch nur für eine kurze Zeit zu besuchen, bedeutet, dass man die Brückenfiguren nicht mehr benötigt. Man ist dann mit einer Handvoll der Millionen Menschen vertraut, und kann sich mit denen identifizieren, die in Gesellschaften leben, in denen sie erheblich schlechtere Entwicklungsmöglichkeiten haben als wir, die wir in reichen Ländern geboren wurden. Und genau das zählt. Es liegt eine traurige Ironie darin, dass so viele derer, die in der Entwicklungshilfe arbeiten und diesen empathischen Sprung geschafft haben, ihre Empathie mit den Uneingeweihten verlieren. Nachdem wir die Verbindung zu jemandem aufgebaut haben, der in extremer Armut lebt, vergessen wir oft, wie einfach es war, sich nicht darum zu kümmern, als wir diese Verbindung noch nicht hatten. Ich könnte wetten, dass die große Mehrheit der Entwicklungshelfer, sogar die härtesten Wirtschaftswissenschaftler unter ihnen, ihre Leidenschaft durch eine Form echten menschlichen Kontakts entdeckt haben – und nicht durch abstrakte Analyse. Und dennoch verspotten wir diese jungen Menschen, die sich hinauswagen um ihre eigenen Erfahrungen zu machen, ihre eigenen Verbindungen zu knüpfen, ihre eigene interkulturelle Empathie zu bilden – weil Voluntourismus geschmacklos ist. Aber spielt es denn wirklich eine Rolle, ob es geschmacklos ist?
In Bezug auf den direkten entwicklungspolitischen Nutzen ist dörflicher Voluntourismus wahrscheinlich meist irrelevant. Wir könnten Zeit damit verbringen eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Analyse aufzustellen bezüglich des Preis-Leistungs-Verhältnisses des Einsatzes amerikanischer Teenager beim Bauen einer Mauer in Tansania. Oder wir könnten darüber nachdenken, warum
- 90% unseres kollektiven Spenden-Impulses anderen reichen Menschen zu Gute kommen.
- 99% unserer Staatsausgaben anderen reichen Menschen zu Gute kommen.
- unsere narzisstische Handels- und Immigrationspolitik anderen reichen Leuten hilft.
Wir könnten stattdessen überlegen, was reiche Leute tatsächlich dazu bringen könnte, sich verdammt noch mal um die globale Armut zu kümmern. Dass vielleicht – aber nur vielleicht – die Lösung darin liegen könnte, mit den Menschen zusammen zu leben und zu arbeiten, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Reisen erweitert wirklich den Horizont (das ist sogar bewiesen). Wenn geschmackloses weißes Retter-Marketing für ein eigentlich sinnloses Projekt es schafft, ein wenig Aufmerksamkeit von einem Youtube-Katzen-Video abzulenken, dann könnte es das doch wert sein, oder nicht?
Schlussbemerkung von wegweiser-freiwilligenarbeit.com: Pippa’s verkorkster Freiwilligen-Einsatz in Tansania darf nicht davon ablenken, dass es eine große Anzahl gut durchdachter und wirkungsvoller Freiwilligen-Projekte gibt. Aber das wird das Thema eines anderen Blogeintrags.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Rainbow Garden Village.